GIZ Vorstandssprecher Thorsten Schäfer-Gümbel vor einer Beton-Säule.
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12.03.2024

Thorsten Schäfer-Gümbel: „Wir sind da, wo es schwierig ist“

Entwicklungszusammenarbeit nutzt der Welt – aber auch Deutschland, sagt Thorsten Schäfer-Gümbel. Der Ex-SPD-Vize über Förderprogramme, Fluchtursachen und Radwege in Peru.

Herr Schäfer-Gümbel, Sie sind Deutschlands oberster Entwicklungshelfer, was Sie schon als Jugendlicher werden wollten. Warum eigentlich?

Ich wollte mich in der kirchlichen Jugendarbeit engagieren. Die fortschrittliche Katholische Junge Gemeinde gab es in meiner konservativen Heimatgemeinde nicht. Parallel fing ich an, mich mit der Befreiungstheologie in Lateinamerika zu beschäftigen. Das weckte mein Interesse an internationalen Fragen – und fasste den Entschluss, in die Entwicklungszusammenarbeit zu gehen.

Weshalb wurde nichts daraus?

Das waren sehr persönliche Gründe. Wir waren eine Vierergruppe, eng befreundet und wollten in die Welt hinaus. Daraus wurde dann aber nichts, außerdem bekam ich Probleme mit meinen Augen. Es folgte ein Studienfachwechsel und neue Ziele.  

Sie bekamen, als Sie nach Ihrer politischen Karriere 2019 zur GIZ kamen, quasi noch den Höhepunkt einer entwicklungspolitischen Ära mit: UN-Ziele wie die Ausrottung von Armut und Hunger schienen erreichbar, Deutschland erfüllte erstmals die Zusage, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklung auszugeben. Nun aber gibt es die Kritik, wir gäben zu viel. Wie erklären Sie sich das? 

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Welt noch unsicherer gemacht – auch wirtschaftlich. Viele Menschen fragen sich: Was passiert da eigentlich gerade? Sie bekommen von Populist*innen und im Netz eine einfache Antwort vorgesetzt: einen ökonomischen Nationalismus. Weil auch viel Geld für andere wichtige Zukunftsaufgaben gebraucht wird, soll es im Land bleiben. Leider verfängt das.

Spüren Sie auch den Druck, unter den Entwicklungsausgaben geraten sind? 

Ja, natürlich. Aber ich sage ganz klar: Die internationale Zusammenarbeit nutzt der Welt und Deutschland. Wir können kein einziges globales Problem ohne Partnerschaften lösen. Ohne sie werden wir nicht in Frieden und Sicherheit leben können. Ohne Wohlstandsbeteiligung der Partnerländer werden wir auch die großen Migrationsbewegungen nicht lösen. Entwicklungszusammenarbeit ist im Interesse Deutschlands. Sie bekämpft Fluchtursachen, fördert Sicherheit und Stabilität, öffnet der deutschen Wirtschaft Möglichkeiten in neuen Märkten. Sie hilft, beispielsweise durch den Ausbau erneuerbarer Energien, den Klimawandel einzudämmen und reduziert die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Das sichert – Beispiel grüner Wasserstoff – mittel- und langfristig der Energiesicherheit Deutschlands. Wir sind eine Exportnation und brauchen internationale Zusammenarbeit mehr als andere.

Es bräuchte also eigentlich mehr statt weniger Entwicklungszusammenarbeit? 

Es braucht mehr internationale Zusammenarbeit. Wir liegen weit zurück, bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele, die wir uns als Weltgemeinschaft gesetzt haben Wir müssen mehr Tempo machen. Corona hat uns leider stark zurückgeworfen. Der verschärfte Ton zwischen Partnerländern und uns resultiert unter anderem daraus, dass wir nicht als gute Partner bei der Impfstoffverteilung wahrgenommen wurden. Wer jetzt weniger Zusammenarbeit fordert, bekommt dafür vielleicht Szenenapplaus. Die Welt würde damit nur instabiler und wir ärmer.

Schon im aktuellen Haushalt ist der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) um rund acht Prozent gesunken. Im Etat 2025 könnte es noch härter kommen. Gibt es bei der GIZ einen Stellenabbau?

Wir als Bundesunternehmen sind maßgeblich von den Aufträgen der Bundesregierung und unseres Hauptauftraggebers BMZ abhängig. Kürzungen führen zu geringeren Aufträgen. Darauf stellen wir uns im Management ein.

Gibt es nicht auch ein übergreifendes Sparpotenzial? Wir haben gehört, dass entsandte GIZ-Mitarbeiter samt ihrer Familienangehörigen Business Class fliegen.  

Zwei Dinge dazu: Erstens, wir haben in unserer neuen Reisekostenrichtlinie die Kriterien für Businessflüge nochmal deutlich eingeschränkt. Zweitens war es auch bisher schon so, dass die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen das nicht in Anspruch nehmen und Economy fliegen.  

Lassen Sie mich auch etwas anderes betonen: Unsere Mitarbeitenden sind die Spezialist*innen fürs Machen vor Ort, arbeiten insbesondere in den vielen Krisen, die uns weltweit fordern, bis an die Grenzen des Möglichen. Ich bin sehr stolz auf das, was sie gerade vergangenes Jahr alles geleistet haben. Ich würde mich sehr freuen, wenn das auch gesehen wird. 

Nämlich? 

Wir sind da, wo es schwierig ist. In der Ukraine zum Beispiel sind wir permanent präsent und leisten unter herausfordernden Bedingungen Aufbauhilfe und Unterstützung im Angesicht des Krieges, beispielsweise bei der Förderung von Kleinunternehmen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Wir arbeiten im Nahen Osten weiter, ebenso in Mali und haben bei den Erdbeben in der Türkei und Syrien umgesteuert und schnell Hilfe geleistet.  

Umso mehr muss es Ihre Leute frustrieren, wenn ihre Arbeit lächerlich gemacht wird. Das Beispiel der Radwege in Peru im Internet hat traurige Berühmtheit erlangt. Auch Hilfe für das Boomland Indien ruft Kritiker auf den Plan. Was entgegnen Sie? 

Dass die GIZ keine Radwege in Peru baut.  

Das BMZ hat kürzlich bestätigt, dass ein Zuschuss von 20 Millionen Euro in den Aufbau eines Radwegenetzes in Lima geflossen ist, da es prinzipiell egal sei, wo auf der Welt CO2 eingespart wird. 

Das stimmt. Der Klimaschutz endet nicht an der deutschen Grenze. Wenn es darum geht, das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen, erarbeiten wir als GIZ Konzepte für nachhaltige Mobilität in einem Land – auch in zwei peruanischen Städten. Dafür gibt es viele gute Gründe, die ich gerne erkläre: Das, was da draußen passiert, hat etwas mit uns zu tun. Wir haben maximales Interesse daran, dass internationale Beziehungen funktionieren. Das gilt doppelt für ein Land, in dem jeder zweite Euro am Export hängt. Deswegen ärgert es mich, wenn ein Gegensatz zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Handelsinteressen konstruiert wird. 

Sie meinen den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der in einem Positionspapier gerade eine entwicklungspolitische Zeitenwende und eine viel stärkere Orientierung an den deutschen Wirtschaftsinteressen gefordert hat? 

Für die GIZ ist es Teil ihrer DNA, eng mit der Privatwirtschaft zusammenzuarbeiten. Ziel unserer Arbeit ist, Strukturen für eine selbsttragende Entwicklung zu schaffen. Dazu gehören Investitionen, die erfolgreich sind. Wir sind allerdings keine Außenwirtschaftsagentur, dennoch überschneiden sich die Interessen, etwa bei der Fachkräftegewinnung, die zentral für Deutschlands zukünftigen Wohlstand ist. Schon seit über zehn Jahren beauftragen uns deutsche Firmen, dass wir Menschen in ausgewählten Partnerländern auf ihre Arbeit in Deutschland vorbereiten. Wir achten dabei genau darauf, dass nicht Arbeitskräfte ihr Heimatland verlassen, die dort selbst gebraucht werden. 

Die Wirtschaft sähe es vielleicht gerne, Sie würden sich darauf beschränken.

Das denke ich nicht. Wie gesagt, wir arbeiten schon lange vertrauensvoll mit der Privatwirtschaft zusammen. Der Welthandel kann nur in einem friedlichen Umfeld florieren, was wiederum Entwicklung voraussetzt. Frieden braucht Entwicklung.

Die frühere Kanzlerin Angela Merkel hat es als Fehler ihrer Migrationspolitik bezeichnet, dass dem Welternährungsprogramm der UN die Mittel gekürzt wurden.

Ich habe 2016 als SPD-Vize Flüchtlingscamps im Nordirak besucht. Der einzige Wunsch der Menschen war, mit ihren Familien wieder sicher nach Hause zu kommen. Als ihre Tagesrationen um 50 Prozent gekürzt wurden, sahen sich viele zur weiteren Flucht gezwungen. Was Angela Merkel damals völlig zurecht als Fehler einräumte, hat die Weltbank mit Zahlen untermauert: Jeder Euro, der für nachhaltige Entwicklung in den Partnerländern investiert wird, spart den Steuerzahlenden später vier Euro für humanitäre Nothilfe.

Gibt es eine solche Zahl auch für die Arbeit der GIZ? 

Nein, aber grundsätzlich lässt sich das übertragen, da wir strukturbildend arbeiten. Lassen Sie mich einer Frage zuvorkommen: Ja, nicht jedes Projekt wird direkt ein Erfolg. Wir versuchen immer das Beste zu erreichen, das gelingt nicht immer und daraus lernen wir sehr konsequent. Dabei hilft uns auch unsere professionelle Evaluierungsarbeit.  

Im Jahr 2018, kurz bevor Sie zur GIZ kamen, bemängelte ein Prüfbericht, es gebe keine funktionierende Kontrolle der Mittelverwendung. Was haben Sie verändert? 

Wir haben das Kontrollsystem massiv weiterentwickelt. Um mal zwei Zahlen zu nennen: Wir setzen rund 1600 Vorhaben um. Im vergangenen Jahr hatten wir sage und schreibe mehr als 1800 extern beauftragte Prüfungen im Haus. Diese Zahl hat sich fast verdoppelt in den vergangenen vier Jahren. Hinzu kommen interne Kontrollen und Revisionsprüfungen. Das hat aber einen Preis: Die Bürokratiekosten sind gestiegen. 

Lassen Sie uns etwas genauer auf das schwierige Arbeitsumfeld eingehen. Mali ist so ein Ort: Die Militärregierung wollte die Bundeswehr nicht mehr im Land haben, zugleich sollen deutsche Entwicklungshelfer bleiben und letztlich den Putschisten helfen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Wir helfen den Menschen und nicht der Übergangsregierung – und arbeiten regierungsfern.  

Trotzdem erspart man den Militärs, dass sie sich um die Belange dieser Menschen kümmert, wie es Aufgabe einer Regierung wäre. 

Es in unserem Interesse, dass es in der Sahelregion ein Mindestmaß an Stabilität gibt – auch damit sich die Menschen nicht auf eine gefährliche Flucht machen müssen. Wenn wir, wie in Mali, mehr als eine halbe Million Menschen mit Kleinprojekten dabei unterstützen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, dann wirkt sich das auch stabilisierend auf die Kommunen aus.

Mit Moskaus Wagner-Söldnern kooperierende Regime würden aber vielleicht nur dann zum Teufel gejagt, wenn der Leidensdruck in der Bevölkerung stiege. Darauf verweist etwa Christoph Hoffmann, der amtierende Vorsitzende des Entwicklungsausschusses von der FDP. Liegt er völlig falsch? 

Die Geschichte lehrt uns, dass die Verelendung nahezu nie zu Frieden und Fortschritt geführt hat. Meistens folgten noch brutalere Regime.  

Dann können Sie der Idee nichts abgewinnen, Demokratien stärker zu helfen?

Das Gegenteil ist der Fall. Wir setzen auf Demokratie-Entwicklung und -Stärkung! Ein Rückzug unsererseits macht möglicherweise Räume für andere erst richtig auf. Der politische Raum muss hier schwierige Abwägungen treffen und ich habe größten Respekt vor diesen Entscheidungen.  

Aus Afghanistan haben Sie sich dagegen weitgehend zurückgezogen, nachdem die Taliban wieder an die Macht gekommen sind.

Wir arbeiten dort über Nichtregierungsorganisationen, um das tägliche Leben der Menschen zu sichern, etwa indem Frauen Trainings als Hebammen und Krankenschwestern erhalten oder die Wasserversorgung für die Bevölkerung verbessert wird.

Noch kritischere Fragen müssen sich Organisationen in Gaza gefallen lassen. Aus Wasserrohren für Klaranlagen sollen Raketen, aus Schulen Terrortreffpunkte der Hamas geworden sein. Legen Sie für Ihre GIZ-Mitarbeiter die Hand ins Feuer?

Für unsere Arbeit vor Ort gelten besonders strenge Prüfkriterien. Das BMZ hat das gesamte deutsche Engagement nach dem 7. Oktober nochmals geprüft, auch unsere Projekte, und keine Zweckentfremdung festgestellt.  

Zum Schluss noch eine gemeine Frage: Welche Organisation ist leichter zu führen? Die GIZ oder die SPD?

Beide Institutionen haben ihren eigenen Reiz und eigene Herausforderungen. Vergleiche sind aber am Ende immer schwierig. Lassen Sie mich daher etwas zu meiner heutigen Verantwortung sagen. Ich habe zu Beginn schon einmal darüber gesprochen, wie stolz ich auf die Mitarbeitenden der GIZ bin. Hier arbeiten so viele beeindruckende und engagierte Menschen, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Sie stärken damit das Ansehen Deutschlands in der Welt und leisten wichtige Beiträge zum Beispiel beim Klimaschutz oder der beruflichen Bildung. Sie tun das häufig unter schwierigen Bedingungen. Ich sehe es mit meinen beiden Vorstandskolleginnen Ingrid-Gabriela Hoven und Anna-Sophie Herken als meine Verantwortung an, dieses Engagement bestmöglich zu sichern.   

Das Interview erschien zuerst im Tagesspiegel am 9.3.2024. 

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