"Wenn alle gewinnen"

Ein Gewinn für alle Seiten

Bei der Akquise von Fachkräften aus Ländern außerhalb der Europäischen Union stehen beim Pilotprojekt Triple Win die Interessen deutscher Unternehmen, der ausländischen Fachkräfte und der Herkunftsländer im Fokus. Alle drei profitieren.

Dreizehn Uhr, Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main: Die Spätschicht fängt an. Rasch gehen Almir Dedic, Emir Kurahovic und Belkisa Trakic mit dem stellvertretenden Leiter der Pflegedirektion, Klaus Engel, einige Patientendaten durch. Dann eilen die Krankenschwester und die beiden Krankenpfleger auf ihre Stationen. Infusionen vorbereiten, Blutdruck messen, die Tabletts der Mittagsmahlzeit abräumen, Patienten lagern, Verbände wechseln – es gibt viel zu tun. Seit fünf Monaten arbeiten die drei Bosnier in dem Frankfurter Krankenhaus. In ihrem Herkunftsland haben alle eine vierjährige Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert, inklusive eines sechsmonatigen Praktikums. Doch an eine anschließende Weiterbeschäftigung war nicht zu denken. „In Bosnien gibt es absolut keine Arbeit, weder für Jung noch Alt. Ich habe als Fliesenleger gejobbt, Almir in einem Warenlager“, erzählt Emir Kurahovic. Die Arbeitslosigkeit in Bosnien liegt bei über 40 Prozent, die drei Krankenpfleger waren häufig im örtlichen Arbeitsamt. Dort erfuhren sie von der Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten. „Diese Aussicht war eine einmalige Chance, denn ich habe während des Balkankrieges als Kind sechs Jahre hier gelebt“, sagt Emir Kurahovic. Auch Belkisa Trakic und Almir Dedic haben einen Teil ihrer Kindheit in Deutschland verbracht; Dedic ist sieben Jahre in Wetzlar zur Schule gegangen: „Frankfurt war für mich ein bisschen wie nach Hause kommen“, lacht er.

Das bosnische Arbeitsamt vermittelte den drei Krankenpflegekräften den Kontakt zum Programm Triple Win. Bei einem Auswahlgespräch reichten sie ihre Bewerbungsunterlagen ein. Später folgten Gespräche mit Mitarbeitern des Centrums für internationale Migration und Entwicklung (CIM). Die Personalvermittler fühlten den Kandidaten auf den Zahn: Ausbildung, Zeugnisse, Berufserfahrung, persönlicher Hintergrund, Deutschkenntnisse, Motivation – alles musste stimmen. „Uns wurden nur Kandidaten vorgeschlagen, die exzellent waren“, bestätigt Klaus Engel von der Pflegeleitung des Nordwestkrankenhauses. „In telefonischen Interviews haben wir uns selber noch mal ein Bild von den künftigen Kollegen gemacht und sie daraufhin eingestellt.“

Zunächst ist der Einsatz der Pflegekräfte in Deutschland aufgrund arbeitsrechtlicher Bestimmungen auf 18 Monate befristet. Damit ihre bosnische Ausbildung auch hier anerkannt wird, müssen die jungen Leute eine Prüfung ablegen und zahlreiche Dokumente einreichen. Bei dieser Prozedur hilft das Krankenhaus tatkräftig mit. Um Urkunden, Zeugnisse, Übersetzungen, Beglaubigungen kümmert sich Klaus Engel und bewältigt dabei mit seinem Team viel Bürokratie. Das Krankenhaus organisiert Anpassungskurse, in denen die Bosnier deutsche Pflegestandards kennenlernen und sich mit den Abläufen im Krankenhaus und den Anforderungen des Qualitätsmanagements vertraut machen. Aus Sicht von Emir Kurahovic ist das sehr sinnvoll: „In unserer Ausbildung lag der Schwerpunkt mehr auf medizinischen Gesichtspunkten. Pflegerische Anforderungen, wie sie in Deutschland gestellt werden, spielen in Bosnien eine geringere Rolle, denn in bosnischen Krankenhäusern pflegen die Angehörigen die Patienten.“ Das fehlende Wissen – etwa über die richtige Lagerung der Patienten, Körperpflege, die Organisation von Medikamentengabe und Therapie – eigneten sich die motivierten jungen Leuten rasch an. Klaus Engel bestätigt: „Innerhalb von zwei bis drei Monaten waren die drei Kollegen so weit, eigenverantwortlich einen eigenen Arbeitsbereich zu übernehmen und die Patienten dort selbstständig zu versorgen.“

Dass die Eingliederung so problemlos geklappt hat, liegt auch an den guten Arbeitsbedingungen im Krankenhaus Nordwest – und an den Kollegen, die die drei Bosnier herzlich aufgenommen und in den ersten Wochen intensiv unterstüzt haben. Privat sind Takic, Dedic und Kurahovic längst in Frankfurt „angekommen“: Alte Freunde aus der Schulzeit, zu denen der Kontakt nie abgebrochen war, warteten schon auf sie. Und im Wohnheim des Krankenhauses, wo sie leben, haben sie schnell Anschluss gefunden.

Fortbildung im Blick

Almir Dedic arbeitet auf der Überwachungsstation der Abteilung für Innere Medizin. Auf einem Monitor laufen die kardiologischen Daten der Patienten und die für die Sauerstoffsättigung des Blutes zusammen. Sorgfältig kontrolliert er bei Dienstantritt die Werte seiner Schutzbefohlenen. Auf dieser Station bleiben die Patienten nicht lange. Sobald es ihnen besser geht, verlegen die Ärzte sie vom Intensiv- in den normalen Betreuungsbereich. Dedic freut sich, wenn es den Kranken besser geht und sie ihn nicht mehr brauchen. Dafür will er auch in Zukunft sorgen, denn sein Interesse gilt der Intensivmedizin: „Ich möchte nach meiner Anerkennung gern eine Fortbildung als Fachkraft für Notfall- und Intensivmedizin machen.“ Ehrenamtlich arbeitet er bereits beim Deutschen Roten Kreuz im Rettungsdienst, da käme ihm die Zusatzausbildung ebenfalls zugute.

Auch Emir Kurahovic setzt auf Weiterbildung: Er arbeitet in der Unfallchirurgie, einem Fachgebiet, das er erst in Deutschland kennengelernt und in das er sich schnell eingearbeitet hat. Nun möchte er sich zum Wundexperten spezialisieren. Wundmanager wäre er dann und Fachmann für Wundheilungsprozesse: „Normaler Krankenpfleger möchte ich nicht für immer bleiben“, so Kurahovic. „Ich möchte mich weiterentwickeln, sonst wird es in jedem Berufsleben irgendwann langweilig. Deutschland bietet mir da die besten Möglichkeiten.“ In die gleiche Kerbe schlägt auch Belkisa Trakic. Sie arbeitet in der neurologischen Abteilung des Nordwestkrankenhauses und will sich im Bereich neurologische Intensivmedizin weiterbilden. Mit ihrem Ehrgeiz und Engagement wollen die drei nicht nur ihre persönliche Karriere voranbringen. Vielmehr hegen sie alle den Wunsch, irgendwann nach Bosnien zurückzukehren und die Pflegesituation in den dortigen Krankenhäusern und Gesundheitsstationen zu verbessern. „Wir haben schon jetzt so viel dazugelernt und wollen uns noch weiter spezialisieren. Es wäre schön, wenn wir das irgendwann mal in Kursen oder Schulungen an die Krankenhäuser in Bosnien vermitteln könnten.“

Aktuell bieten der Arbeitsmarkt und die Verdienstmöglichkeiten in Bosnien aber keinen Anreiz für eine Heimkehr. Wer überhaupt einen Job ergattert, verdient zwischen 200 und 400 Euro im Monat. Die Lebensmittelpreise sind laut Almir Dedic, Belkisa Trakic und Emir Kurahovic jedoch nahezu so hoch wie in Deutschland. Deshalb hoffen die drei Pflegekräfte, dass ihre auf 18 Monate befristete Aufenthaltsgenehmigung verlängert wird – nicht zuletzt, weil sie Verwandte und Freunde in Bosnien mit ihrem Verdienst unterstützen und so auch dort eine Perspektive schaffen.

Autorin: Gabriele Rzepka, freie Journalistin mit den Schwerpunkten Entwicklungspolitik und Technik.
Der Artikel erschien zuerst im GIZ-Magazin akzente, Ausgabe 04/2012.