„Europa ist ein globaler, zukunftsorientierter Partner“
Michal Minčev leitet die tschechische Entwicklungsagentur. In unserem Interview spricht er über neue geopolitische Realitäten, die Notwendigkeit, Ressourcen zu bündeln, und Europas Position in der Welt.
Wie beurteilen Sie Europas Rolle als globaler Entwicklungspartner angesichts der aktuellen geopolitischen Verschiebungen?
In dieser Zeit der geopolitischen Fragmentierung und eskalierender globaler Krisen steht Europa umso mehr in der Verantwortung als ein stabiler, werteorientierter Entwicklungspartner. Europas Stärke liegt im gemeinsamen Handeln: Es schließt strategische Bündnisse, bündelt wirksam Ressourcen und richtet sich nach gemeinsamen Grundsätzen.
Für nachhaltige Wirkung in der Entwicklungszusammenarbeit ist eine engere Koordinierung aller Akteure entscheidend. Glücklicherweise fängt Europa nicht bei null an. Ihm kommt sein vielfältiges Ökosystem zugute: nationale Agenturen, Entwicklungsfinanzierer und ein dynamischer Privatsektor. Europäische Unternehmen zählen zu den größten Investoren in Entwicklungsländern und die EU ist ein führender Geber in der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit.
Worin bestehen für Sie die Stärken der europäischen Entwicklungsagenturen?
Idealerweise bietet die europäische Entwicklungszusammenarbeit integrierte, langfristige Lösungen. Die Entwicklungsagenturen leisten technische Unterstützung, Kompetenzentwicklung und gezielte Zuschussfinanzierung. Das senkt Projektrisiken und fördert privatwirtschaftliches Engagement. Damit diese Wertschöpfungskette wirksam funktioniert, ist eine enge Koordinierung aller Akteure unverzichtbar.
Und funktioniert sie?
Die Koordinierung stellt für uns nach wie vor eine Herausforderung dar. Häufig arbeiten wir isoliert, wodurch Europa weniger Wirkung erzielt. Das muss sich ändern. Eine engere Zusammenarbeit aller Akteure – Entwicklungsagenturen, Financiers, Politik und Wirtschaft – stärkt nicht nur Partnerländer, sondern auch die Glaubwürdigkeit und den Wohlstand Europas. Initiativen wie Global Gateway machen deutlich, dass wir in dieser Richtung begrüßenswerte Fortschritte erzielen. Aus tschechischer Perspektive betrachten wir Europa nicht nur als eine Gebergemeinschaft, sondern als einen zukunftsorientierten, globalen Partner.
Michal Minčev ist seit Oktober 2021 Direktor der tschechischen Entwicklungsagentur (Czech Development Agency, CZDA). Davor hatte er unterschiedliche Positionen im diplomatischen Dienst der Tschechischen Republik inne und war unter anderem Leiter der Wirtschaftsabteilung der tschechischen Botschaft in Nairobi. Darüber hinaus war er in leitender Position im Ministerium für Industrie und Handel und als Führungskraft in der Privatwirtschaft tätig. Minčev hat die Tschechische Technische Universität in Prag mit einem Master und die Universität Westminster mit einem MBA abgeschlossen.
Ein Schwerpunkt der tschechischen Entwicklungszusammenarbeit liegt auf der humanitären Soforthilfe für die Ukraine. Wie wichtig ist diese Hilfe für Ihr Land?
Die Ukraine ist für uns mehr als nur ein Nachbarland – sie bildet die Front unserer gemeinsamen europäischen Zukunft. Für die Tschechische Republik ist die Unterstützung der Ukraine nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern ein strategischer Imperativ. Seit Kriegsbeginn unterstützt unsere Agentur die Ukraine – von medizinischer Ausrüstung bis zu technischer Hilfe. All dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit ukrainischen Partnern und den EU-Organen. Im Fokus steht nicht nur Nothilfe, sondern die langfristige Resilienz der Ukraine und ihre Fähigkeit, trotz der enormen Herausforderungen auf ihrem Weg in die EU voranzukommen.
Der Wiederaufbau der Ukraine ist nicht nur eine moralische Verantwortung, sondern auch eine strategische Investition in die Stabilität und Sicherheit unseres ganzen Kontinents.
Wie unterstützt das Practitioners’ Network die Ukraine auf ihrem Weg in die EU?
Das Practitioners’ Network koordiniert europäische Entwicklungsbemühungen, erleichtert Wissensaustausch und strategische Abstimmung – für kleinere Agenturen wie die tschechische Entwicklungsagentur ist das besonders wertvoll. So tragen wir zur Reform und EU-Integration der Ukraine bei.
Welche Möglichkeiten bietet die europäische Zusammenarbeit bei Team Europe oder Global Gateway Ihnen als Direktor einer jüngeren Entwicklungsagentur?
Initiativen wie Team Europa und Global Gateway geben den nationalen Entwicklungsagenturen die Möglichkeit, Entwicklungszusammenarbeit strategischer und sichtbarer zu gestalten. Durch sie können wir einen Beitrag zu einem weiter gefassten europäischen Rahmen leisten. Insbesondere Global Gateway bietet ein wichtiges Modell für die Erzielung nachhaltiger Ergebnisse in Infrastruktur und Entwicklung. Es fördert einen ganzheitlichen Ansatz, von der Konzipierung und Vorbereitung über die Skalierung bis hin zur Nachhaltigkeit. Es führt öffentliche Institutionen, private Investoren und Durchführungspartner in zukunftsfähigen Initiativen zusammen.
Die tschechische Entwicklungsagentur ist die offizielle Durchführungsstelle der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit der Tschechischen Republik. Sie ist dem Außenministerium unterstellt und wurde 2008 gegründet. Die Agentur ist für das Management und die Durchführung von Entwicklungsprojekten in Partnerländern verantwortlich. Zu den zentralen Partnerländern der tschechischen Entwicklungsagentur zählen Bosnien und Herzegowina, Kambodscha, Äthiopien, Georgien, die Republik Moldau, Sambia und die Ukraine. Tschechien ist Mitglied des Entwicklungshilfeausschusses der OECD und des Practitioners’ Network for European Development Cooperation.
Worin ist die Zusammenarbeit mit der GIZ Ihrer Meinung nach besonders erfolgreich?
Die GIZ ist seit langem ein verlässlicher Partner der tschechischen Entwicklungsagentur. Unsere Erfahrung zeigt: Gut abgestimmte Zusammenarbeit führt zu messbaren Erfolgen vor Ort. Für diese enge Zusammenarbeit bietet Global Gateway eine vielversprechende Plattform. Sie entspricht einem Ansatz, der stärker auf strategische, langfristige Partnerschaften ausgerichtet ist – und Wert legt auf lokale Prioritäten und die Mobilisierung privaten Kapitals. Dies sind genau die Bereiche, in denen die GIZ und die tschechische Entwicklungsagentur mit vereinten Kräften an glaubwürdigen, nachhaltigen Lösungen arbeiten können.
Welche Rolle spielen Privatunternehmen in diesem Zusammenhang?
Tschechisch-deutsche Wirtschaftsbeziehungen sind ein Erfolgsmodell – auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Indem wir die Stärken unserer Wirtschaftsakteure zusammenführen und in gut vorbereiteten Projekten verankern, können wir gemeinsam einen Beitrag zu wirksameren Ergebnissen in den Partnerländern leisten.
Um dieses Ziel Wirklichkeit werden zu lassen, ist eine frühzeitige Zusammenarbeit entscheidend. Werden Akteure wie die GIZ von Anfang an eingebunden – in Design, Planung und Ressourcennutzung –, steigt die Erfolgschance deutlich. Daher sind wir, als tschechische Entwicklungsagentur, entschlossen, die Partnerschaft mit der GIZ in den nächsten Jahren weiter zu vertiefen.