Reportage

Neue Horizonte

Auf der ITB 2025 in Berlin bekommt Albanien als offizielles Gastland die große Bühne. Das Westbalkanland ist ein vielversprechendes Reiseziel. Damit ländliche Regionen am touristischen Aufschwung teilhaben, unterstützt die GIZ albanische Partner. Ein Besuch im kulturellen und architektonischen Herzen Nordalbaniens.

Text: Alice Ophelia Taylor
Ein traditionelles Steinhaus mit kleinen Fenstern, Holzdetails und der roten Fahne Albaniens steht inmitten grüner Bäume mit Bergen im Hintergrund.

Wer die Stufen zur Kulla Hupi erklimmt, unternimmt eine Zeitreise. Das traditionelle Turmhaus erhebt sich eindrucksvoll vor dem weiten Himmel Nordalbaniens. Die Spur der Steine reicht lange zurück. Seit Generationen ist dieses ikonische Gebäude im Besitz der Familie Hupi.

Die Kullas, die Wohn- und Wehrtürme, stammen aus der Zeit des Osmanischen Reiches. Sie waren in Nordalbanien, in Kosovo und in Teilen Montenegros verbreitet. In unruhigen Zeiten dienten sie dem Schutz der erweiterten Familie vor Angreifern. Doch die Menschen versammelten sich dort auch zum Feiern oder um Geschichten miteinander zu teilen. Die Türme sind eng mit dem ausgeprägten Familiensinn der Region verbunden. Heute sind nur noch wenige dieser Bauwerke erhalten.

Es war ebendiese familiäre Verbundenheit, die Julian Hupi dazu brachte, dem alten Gemäuer neues Leben einzuhauchen. „Ich habe es meinem Großvater versprochen“, sagt der 39-Jährige, den alle Luli nennen.

Eine hölzerne Treppe führt zu einem rustikalen Eingang mit einem Holzschild, auf dem „KULA HUPI 1825“ steht.

„Tower Tour“ mit neun Kullas

Der ehemalige Bergarbeiter hat das steinerne Erbe seiner Familie in ein authentisches Gästehaus verwandelt. Die Kulla Hupi ist inzwischen zum Symbol für nachhaltigen Tourismus und die kulturelle Wiederbelebung in der Region geworden und hat andere inspiriert. Der Turm gehört zur „Tower Tour“, die inzwischen neun Kullas im Norden Albaniens verknüpft. Gäste können von Ort zu Ort reisen und dabei die lokale Kultur, Gastfreundschaft und die traditionelle Küche kennenlernen.

Die GIZ hat unter anderem das Pilotprojekt und die Entwicklung der dazugehörigen Agritourismus-App unterstützt. Ziel ist es, die Region für Individualtouristinnen und -touristen sowie für Reiseanbieter besser zu erschließen. 

Dadurch erhalten ländliche Regionen Albaniens neue wirtschaftliche Perspektiven. Diese sind dringend nötig. Viele junge Frauen und Männer aus dem ländlichen Albanien sind in den vergangenen Jahren in die Hauptstadt Tirana oder weiter ins europäische Ausland gegangen. Eine Erfahrung, die auch Luli Hupi erlebt hat. Groß geworden am Rand der nördlichen Bergbaustadt Bulqiza, sah er in jungen Jahren keine Zukunft in seiner Heimat. Die Region war in den Jahren der kommunistischen Herrschaft bis 1990 ein Zentrum des Chromabbaus gewesen. Später fanden immer weniger Menschen Arbeit in der Gegend und die Zahl der Einwohner*innen sank deutlich.

Die Renaissance der Kullas

Nachdem Luli Hupi im Ausland gearbeitet hatte, kehrte er schließlich nach einigen Jahren mit einem Vorsatz nach Albanien zurück: Er wollte den Wunsch seines Großvaters erfüllen und die Kulla restaurieren. Kein leichtes Unterfangen, denn über die Jahre war der Turm in einen schlechten Zustand geraten. Entschlossen begann Hupi vor rund acht Jahren mit der sorgfältigen Sanierung. Er achtete auf traditionelle Techniken und Materialien. Die dicken Steinmauern, die Holzbalken und die handgefertigten Details versetzen die Gäste in eine vergangene Zeit, gleichzeitig hat er auf eine komfortable Unterbringung geachtet.

„Ich möchte, dass jede Sekunde für meine Gäste authentisch ist“, sagt Luli Hupi grinsend, ehe alle – wie in Albanien üblich – die Schuhe vor der Tür ausziehen. Er führt durch die Kulla. Das Erdgeschoss, in dem früher Schafe, Geflügel und landwirtschaftliche Geräte untergebracht waren, bietet heute Platz für den Wohnbereich seiner Familie, eine Küche und das Restaurant des Gästehauses. Der erste Stock, in dem früher mehrere Generationen der Familie lebten, wurde in Hotelzimmer unterteilt – einige mit Balkon und eigenem Bad, andere mit großem Kamin und geschmückt mit Schafsfellteppichen und traditionell gewebten Stoffen.

Ein Mann in schwarzem Pullover und Jeans sitzt auf dem Boden in einem gemütlichen Raum mit Steinmauern und einem alten Backofen.

„Ich möchte, dass jede Sekunde für meine Gäste authentisch ist.“

Luli Hupi

Für Luli Hupi ist der Wiederaufbau des Familienturms nicht nur ein persönlicher Erfolg, sondern auch ein gesellschaftlicher Ansporn. Als Vorstandsmitglied der Albanischen Agritourismusvereinigung ermutigt er junge Leute aus der Gegend, in das touristische Potenzial ihrer Region zu investieren. Mit dem richtigen Training und Unterstützung während der Startphase sei das aussichtsreich, ist sich Pionier Hupi sicher: „Die Zukunft der Region liegt über der Erde, in ihrem Erbe, ihrer Landschaft und ihren Menschen. Kulla Hupi ist erst der Anfang.

Vier Frauen in roten Kopfbedeckungen kneten Teig in einer Holzkiste auf einem traditionellen Teppich
Vier Frauen in roten Kopfbedeckungen kneten Teig in einer Holzkiste auf einem traditionellen Teppich©GIZ/Katerina Deli Zoom auf Albanien: Damit auch ländliche Regionen touristische Angebote aufbauen und besser vermarkten können, hat die GIZ den Aufbau der App Agritourism AL und einer Website unterstützt.
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