Peaks of the Balkans – wie eine Idee laufen lernte
Der Fernwanderweg Peaks of the Balkans verbindet Albanien, Montenegro und Kosovo. Initiiert mit Unterstützung der GIZ, gilt er heute als Vorzeigemodell für nachhaltigen Tourismus. Auch deutsche Reiseveranstalter haben die Route längst ins Programm aufgenommen.
Früher, so erzählt man, hüteten die Einheimischen vor allem Schafe auf den Wiesen, im Schatten des Gebirges, das Albanien, Montenegro und Kosovo verbindet. Die Menschen in Montenegro nennen es Prokletije, die „verfluchten Berge“. Verflucht, weil Ortschaften in dieser wilden Natur oft leer standen, weil die Jungen fortzogen: in die nächste Stadt oder gleich ins Ausland. Hauptsache weg.
Inzwischen sieht das Bild anders aus. Wandernde ziehen über die Wiesen, vorbei an hellgrauen Felsen aus Kalkstein und klaren Gebirgsbächen. Die früher leerstehenden Holzhäuser sind wieder belebt und bieten Unterkünfte für Gäste aus aller Welt.
Ein Wanderweg als Friedensprojekt
Besonders Reisende aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Skandinavien suchen zunehmend nach naturverbundenen, nachhaltigen Angeboten in den Balkanbergen. Deutsche und internationale Reiseveranstalter haben inzwischen den Peaks-of-the-Balkans-Weg in ihr Programm aufgenommen und bewerben die Route mit ursprünglichem Trekking und unberührten Tälern.
Auf rund 200 Kilometern schlängelt sich der Peaks of the Balkans durch die Bergregion und überschreitet die Grenzen der drei Länder. Gemeinsam mit lokalen Partnern hat die GIZ vor mehr als 15 Jahren die Idee vorangetrieben, einen Fernwanderweg einzurichten.
Von Anfang an dabei war Thomas Wöhrstein, promovierter Geograf und Tourismusexperte. Die Planung des Friedenswegs, so der Arbeitstitel, startete etwa 2009. Mitarbeitende der GIZ, Berater wie Wöhrstein und weitere Beteiligte aus allen drei Ländern formierten eine Arbeitsgruppe. Rund zehn Jahre nach dem Ende der Jugoslawienkriege brachte die gemeinsame Planung die Regionen einander näher. Das Projekt konnte nur umgesetzt werden, „weil alle drei Seiten ganz eng kooperiert haben“, erinnert sich Wöhrstein. Zu diesem Zeitpunkt war das alles andere als selbstverständlich auf dem Westbalkan.
Von Träumern und Optimisten
„Damals hat niemand zu träumen gewagt, dass sich ein so erfolgreiches touristisches Produkt entwickeln würde“, sagt Wöhrstein. Die Arbeitsgruppe setzte zu Beginn ihren Schwerpunkt auf die Arbeit im Gelände: Sie vernetzte ausgetretene Hirtenpfade miteinander, setzte Wegweiser und erfasste die Route kartografisch. Gemeinsam mit den drei Grenzpolizeien entwickelte sie zudem ein Verfahren , das grenzüberschreitende Wanderungen überhaupt erst ermöglichte. Gleichzeitig investierten die Partner gezielt in Öffentlichkeitsarbeit, um die Peaks of the Balkans bekannt zu machen. Heute sind es vor allem junge Wanderinnen und Wanderer, die die Marke durch Mundpropaganda international verbreiten, sagt Wöhrstein.
2012 endete die unmittelbare Förderung des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Auftrag gegebenen Projekts. Bis 2015 führte die GIZ die Arbeit mit dem Deutschen Alpenverein im Rahmen einer DeveloPPP-Kooperation mit BMZ-Unterstützung fort. Jetzt tragen es es regionale Behörden und Bürger*innen aus der Gegend.
Einer von ihnen ist Agron Alija. Er war von Anfang an Teil der Arbeitsgruppe und verantwortete die Erschließung der Wege über die Gipfel. Nach Jahrzehnten in Deutschland war er in seine Heimat Montenegro zurückgekehrt, weil er von der Idee der Peaks überzeugt war. Heute ist er Gastgeber im Dorf Babino Polje nahe der ostmontenegrinischen Stadt Plav. „Meine Familie hat mich damals teilweise ausgelacht, meine Nachbarn dachten, dass ich spinne“, sagt Alija. „Doch gleichzeitig war da auch großer Respekt, dass wir uns das zutrauen.“
Gemeinsam mit seinen Brüdern baute er das Triangle Woodhouse – rechtzeitig zur offiziellen Eröffnung von Peaks of the Balkans 2011. „Die Eröffnungsfeier war hier bei uns im Haus, mit 60 Leuten aus allen drei Ländern.“ 2012 beherbergte er zunächst drei Gäste aus Belgien. Es brauchte Geduld, doch binnen sieben Jahren war das Haus nahezu durchgehend ausgebucht. Und die Nachfrage zog auch nach schwierigen Monaten während der Corona-Pandemie wieder an.
Zahlen einer Ende 2025 im Journal of Outdoor Recreation and Tourism veröffentlichten Studie belegen, wie erfolgreich Peaks of the Balkans inzwischen bei einem internationalen Publikum ist. In Albanien zählte ein Sensor die Wanderinnen und Wanderer auf dem viel begangenen Streckenabschnitt zwischen Theth und Valbona. Von Juli bis November 2024 haben mehr als 43.000 Personen diesen Weg zurückgelegt.
Wanderbegeisterte von Deutschland bis Australien
Agron Alija berichtet, dass allein in seinem Gasthof durchschnittlich rund 300 Gäste pro Monat übernachten. Viele kommen aus deutschsprachigen Ländern, aber auch Reisende aus Australien oder Kanada sind dabei. Manche seiner Gäste berichten, sie fühlten sich in den Alpen oft nur durchgeschleust. Hier sei das anders. Neben Individualreisenden kommen auch organisierte kleine Wandergruppen in die Region.
Wer im Triangle Woodhouse keinen Platz findet, kann auf andere Betten ausweichen. Einige Einheimische sind wie Alija aus dem Ausland zurückgekehrt, um Unterkünfte entlang des Weges zu eröffnen. „Viele Gasthöfe auf der montenegrinischen Seite sind ab 2018 entstanden. Oft wurden bestehende Wohnhäuser umfunktioniert. Die meisten sind familiengeführt“, sagt Alija. Er betont, dass von Beginn an der Fokus auf einem nachhaltigen Tourismus lag, der den Menschen vor Ort zugutekommt.
„Wir hatten zwei Ziele – eine Perspektive für die hiesige Bevölkerung zu schaffen, damit sie hierbleibt, und die drei Länder wieder zusammenzubringen.“
Tourismus als Chance
Peaks of the Balkans bietet Menschen in Montenegro, Albanien und Kosovo die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt im Tourismussektor zu verdienen. Diese Chance haben viele genutzt. Der 2025 veröffentlichten Studie zufolge sorgt der Wandertourismus jedes Jahr für rund 25 Millionen Euro Umsatz. Davon bleiben etwa 16 Millionen Euro als Einkommen direkt in der Region. Das entspricht umgerechnet rund 1.380 Vollzeitstellen.
Gasthöfe und Gasthäuser öffnen ihre Türen, Einheimische bieten ihre Ortskenntnisse als Wanderführer an. Almen werden bewirtschaftet und die Geschäfte in den Dörfern und kleinen Städten profitieren ebenfalls. Die Küchen beziehen Milch und Käse von lokalen Bauern. Gastfreundschaft wird großgeschrieben: An Alijas Tisch essen alle Gäste gemeinsam, Einzeltische gibt es nicht. Alle Nationalitäten kommen zusammen.
Wachstum ja, aber nachhaltig
Heute gilt Agron Alija in seiner Nachbarschaft nicht mehr als Träumer. Er ist längst zur beratenden Stimme geworden. Einerseits würde er sich über noch mehr Gäste in der Region freuen. Andererseits weiß er: „Zu viele dürfen es auch nicht werden. Jeder soll als Gast herzlich empfangen werden können.“ Auf dem Peaks-of-the-Balkans-Weg versuchen sie, die Entwicklung für die Zukunft auszubalancieren.
Tourismusberater Thomas Wöhrstein lobt die Fortschritte, von denen Montenegro und seine Nachbarländer auch langfristig profitieren werden: „Neue Hotels und Restaurants – man sieht, es funktioniert. Viele springen auf und es bekommt eine Eigendynamik.“ Dass die Menschen inzwischen das Potenzial von Peaks of the Balkans erkennen und daran glauben, sei für ihn herausragend.
Die „verfluchten Berge“ sind so zum Schauplatz einer Erfolgsgeschichte geworden. Der Fernwanderweg Peaks of the Balkans hat aus ehemals belächelten Träumern entschlossene Unternehmerinnen und Unternehmer gemacht.