Programm zur Unterstützung der Dialogfähigkeit und Rechtsstaatlichkeit

Programmkurzbeschreibung

Bezeichnung: Programm zur Unterstützung der Dialogfähigkeit und Rechtsstaatlichkeit
Auftraggeber: Auswärtiges Amt
Land: Bolivien
Politischer Träger: Vizepräsidentschaft
Gesamtlaufzeit: 2009 bis 2010

Ausgangssituation

2005 wurde Evo Morales Ayma mit absoluter Mehrheit zum ersten indigenen Präsidenten Boliviens gewählt. Seitdem befindet sich das Land in einer politischen und gesellschaftlichen Umbruchphase. Die von der „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) getragene Regierung Morales zielt auf eine verbesserte politische Partizipation und gesellschaftliche Teilhabe der indigenen Bevölkerungsmehrheit und anderer benachteiligter Gruppen. Ihr Ziel einer Einkommensumverteilung verfolgt sie mittels einer staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik, die durch die Erhöhung von Importzöllen und die Nationalisierung strategischer Bodenschätze, Industrien und Dienstleistern gekennzeichnet ist. Vor allem die wirtschaftlich starken Eliten des ressourcenreichen Tieflands wenden sich gegen diese Politik und fordern eine umfassende Autonomie von der Zentralregierung.
Um die von der Regierung angestrebte „Neugründung Boliviens“ zu verwirklichen, wurde eine verfassungsgebende Versammlung einberufen, deren Ergebnisse, nach langen und konfliktiven Debatten, im Januar 2009 durch ein Referendum bestätigt wurden. Nun stellt die Umsetzung der neuen Verfassung das Land vor große Herausforderungen. Das politische System wird im Spannungsfeld zwischen Dezentralisierungsprozessen und den Bemühungen zur Stärkung des Zentralstaats umstrukturiert. Neue Autonomien werden etabliert und indigene Rechtsprechung soll in das bestehende Justizsystem integriert werden. Die Umverteilung von Ressourcen und politischen Kompetenzen ist oftmals noch nicht klar definiert und führt so zu harten Auseinandersetzungen zwischen den betroffenen Interessengruppen.

Im Rahmen dieser Entwicklung haben sich die Konfliktlinien zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen zusehends verhärtet und in den konstanten Auseinandersetzungen um ökonomische und politische Macht stehen sich diese unversöhnlich gegenüber. Zwar kommt es zurzeit weniger häufig zu gewaltsamen Konflikten als in früheren Jahren, auf allen Seiten besteht jedoch weiter eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft. .Zudem ist die politische Kultur von dem Versuch aller beteiligten Gruppen geprägt, jeweils die eigenen Maximalforderungen durchzusetzen. Friedliche und konsensorientierte Formen der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung sind in der bolivianischen Gesellschaft wenig ausgeprägt. Im Zuge der Konflikte werden immer wieder rechtsstaatliche Grundsätze verletzt. Tragende Institutionen des Rechtsstaates leiden unter der starken politischen Polarisierung. So ist das bolivianische Verfassungsgericht schon seit Längerem handlungsunfähig, weil die notwendige Neubesetzung von Richterstellen von den politischen Konfliktparteien verhindert wird.

Der gesellschaftliche Mehrwert von demokratisch orientierten Dialogprozessen ist bisher wenig anerkannt und wird auch bei der Erziehung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen nicht vermittelt. Staatliche Instanzen zur Konfliktlösung haben zu wenig Durchsetzungskraft oder sind selber stark politisiert.

Für die bolivianische Politik und Gesellschaft ist es daher eine große Herausforderung, die neue Verfassung friedlich und gemäß demokratischer Spielregeln umzusetzen.

Ziel

Das Programm hat zum Ziel, bolivianische Institutionen und Organisationen bei der konsensorientierten Umsetzung der neuen Verfassung zu unterstützen. Im Zentrum der Unterstützung stehen die Förderung der Dialogfähigkeit zwischen den verschiedenen Akteuren und die Stärkung des Rechtsstaats.

Vorgehensweise

Das Vorhaben führt gezielte Maßnahmen zur Unterstützung von Dialogprozessen und zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in fünf Komponenten durch.

  • Stärkung der Akzeptanz des Verfassungsgerichts
    Zur rechtsstaatlichen Umsetzung der neuen Verfassung ist ein funktionierendes Verfassungsgericht unverzichtbar. Es ist als einzige Instanz in der Lage, die Gesetzmäßigkeit des Autonomieprozesses sicherzustellen sowie bei sich widersprechenden Regelungen innerhalb der neuen Verfassung die notwendige Klärung herbeizuführen. Zugleich ist es für die Bürgerinnen und Bürger Boliviens die wichtigste Appellationsinstanz bei der Verletzung ihrer Grundrechte. Die derzeitige Handlungsunfähigkeit des Verfassungsgerichts bedeutet daher eine hochgradige Schwächung des Rechtsstaates.
    Das Vorhaben unterstützt einen internationalen Erfahrungsaustausch zur Stärkung der Akzeptanz des Verfassungsgerichtes unter politischen Entscheidungsträger/-innen und innerhalb der Justizlandschaft. Nationale und internationale Expert/-innen erarbeiten gemeinsam Empfehlungen zu Rolle und Funktionsweise des Verfassungsgerichtes im Rahmen der neuen bolivianischen Verfassung. Eine internationale Konferenz soll die Aufmerksamkeit für das Thema erhöhen. Ebenso sollen bei Delegationsreisen politischer Entscheidungsträger und wichtiger Akteur/-innen der bolivianischen Justiz (z.B. nach Südafrika) Erfahrungen mit multiethnischen Verfassungsgerichten und mit der Rolle von Verfassungsgerichten in gesellschaftlichen Umbruchprozessen in den Dialog eingebracht werden.
  • Vermittlung von rechtsstaatlichen Werten als friedensbildende Maßnahmen bei Jugendlichen
    Zur Entstehung einer gemeinwohlorientierten Dialogkultur ist die Vermittlung rechtsstaatlicher und demokratischer Werte an Jugendliche eine wichtige Voraussetzung. Im Rahmen einer politischen Bildungskampagne werden den Jugendlichen mittels innovativer, interkultureller Lehrmethoden diese Werte vermittelt. Hierbei zielt die Bildungsarbeit vor allem auf Studierende, da diese zukünftig als gesellschaftliche und politische Akteure eine wichtige Rolle spielen werden.
    In einem ersten Schritt werden Jugendliche aus den Universitäten von La Paz und El Alto zum Thema „Rechtsstaatlichkeit“ und im Besonderen zu den im Dezember stattfindenden Wahlen sensibilisiert und fortgebildet. In einem zweiten Schritt sollen im Jahr 2010 Studierende aus weiteren Regionen in die Sensibilisierungs- und Bildungsarbeit einbezogen werden. Ein wichtiger Akzent der Arbeit liegt, neben dem innerbolivianischen Austausch von Jugendlichen, auf der Förderung einer Friedenskultur und der konstruktiven Lösung von Konflikten.
  • Förderung der Dialogfähigkeit politischer Entscheidungsträger/-innen
    Bei Akteur/-innen im politischen, parlamentarischen, sozialen, wirtschaftlichen und im institutionell-juristischen Bereich soll mit gezielten Maßnahmen die Dialogbereitschaft gestärkt werden. Die Herbeiführung von Konsensentscheidungen wird gefördert. Ein inhaltlicher Schwerpunkt wird dort gelegt, wo es im Rahmen der Umsetzung der neuen Verfassung zu Auseinandersetzungen kommt. So werden beispielsweise Dialogprozesse im Rahmen der Kompetenzverteilung zwischen den Autonomien begleitet. Konstruktive Lösungen sollen erarbeitet werden, welche in der Folge als Beispiele von „best practice“ auf andere Regionen übertragen werden können. In diesem Sinne werden auch Netzwerke zum Erfahrungsaustausch für Akteur/-innen unterstützt, die in demokratischen Dialogprozessen engagiert sind. Hierbei wird besonders die Beteiligung indigener Gruppen in politischen Entscheidungsprozessen gefördert.
    Weiterhin werden Fortbildungs- und Sensibilisierungsveranstaltungen in konstruktiver Dialog- und Verhandlungsführung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien für ausgewählte politische Entscheidungsträger durchgeführt.
  • Konfliktlösungsmechanismen im Rahmen eines dezentralen Staatsaufbaus
    Da es Bolivien an historischen Erfahrungen für seinen neuen, dezentralen Staatsaufbau fehlt, gibt es auf politischer Ebene ein großes Bedürfnis an Erfahrungsaustausch mit Ländern mit Autonomiemodellen oder föderaler Struktur. Das Vorhaben unterstützt daher den Aufbau politischer Kontakte zwischen Bolivien und Ländern wie Deutschland oder der Schweiz, aber auch mit Ländern, die kürzlich multiethnische Aspekte in ihre Staatsreform einbezogen haben.
    Von besonderem Interesse ist die Etablierung konstruktiver Konfliktlösungsmechanismen im Rahmen der Neuverteilung von politischen Kompetenzen und ökonomischen Ressourcen. Unter dieser Fragestellung werden daher internationale Austauschveranstaltungen und Seminare organisiert, in denen verschiedene Modelle eines dezentralen Staatsaufbaus für das bolivianische Beispiel fruchtbar gemacht werden.
  • Stärkung der Rechtssicherheit und Vertrauen in die formale Justiz durch Rechtsbereinigung
    Die neue Verfassung erfordert auch die Anpassung und Neuregelung des rechtlichen Rahmens. Bereits vor der Verfassungsreform bestand große Unsicherheit darüber, welche Gesetze noch Gültigkeit haben, da im bolivianischen Gesetzgebungsprozess bisher keine Methode zur systematischen Eliminierung oder Anpassung vorheriger Gesetze bei der Neuregelung von Gesetzesbereichen etabliert wurde. Alte Gesetze blieben häufig in Kraft, obwohl der Gesetzesgegenstand bereits aktualisiert wurde. Dies führt zu einem großen Maß an Rechtsunsicherheit, da die Rechtsgrundlage unterschiedlich interpretiert werden kann, und somit zu einem geringen Vertrauen in die formale Justiz. Die Rechtsbereinigung ist daher eine wichtige Voraussetzung für die Schaffung von mehr Rechtssicherheit als wesentliches Element des Rechtsstaates. In der Folge wird das Vertrauen in die formale Justiz bei den Bürgerinnen und Bürgern gestärkt und ein Beitrag zum sozialen Frieden geleistet.
    Das Vorhaben finanziert und begleitet ein juristisches Expertenteam, welches in Zusammenarbeit mit der bolivianischen Vizepräsidentschaft die Rechtsbereinigung durchführt und eine staatliche Behörde für die zukünftige Fortführung der Rechtsbereinigung einrichtet.