Ausgangssituation
Schon seit 1960 herrscht in Kolumbien ein bewaffneter Konflikt zwischen staatlichen Truppen, Guerillagruppen und paramilitärischen Einheiten, sodass das Land nicht zur Ruhe kommt. 2003 gingen die Regierung Kolumbiens und die Paramilitärs Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) jedoch aufeinander zu: Die AUC erklärten sich bereit, ihre Einheiten zu entwaffnen und den Kämpfern einen Weg zurück in ein ziviles Leben zu ermöglichen. Die rechtlichen Voraussetzungen schuf Kolumbien 2005 mit dem Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden (Ley de Justicia y Paz). Auf dessen Grundlage arbeitet die kolumbianische Regierung die Verbrechen illegaler Gruppen wie der Paramilitärs auf.
Die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft, die Ombudsbehörde und die Richterschaft haben eine immense Aufgabe zu bewältigen. Sie müssen ermitteln und dabei die Opfer in den Prozess der juristischen Aufarbeitung einbeziehen. Das bringt große materielle und logistische Herausforderungen mit sich.
Seit Februar 2008 begleitet die GIZ diesen Prozess. Sie berät die Generalstaatsanwaltschaft bei der juristischen Anwendung des Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden sowie die Ombudsbehörde und das Zentrum für Historische Erinnerung.
Ziel
Staatliche Institutionen sind in der Lage, strafrechtliche Fälle der Transitionsjustiz effizient und inklusiv zu bearbeiten. Dabei erfüllen sie unterschiedliche Anforderungen: Sie berücksichtigen internationale Doktrin, Jurisprudenz sowie Erfahrungen aus vergleichbaren Übergangsprozessen anderer Länder. Ein besonderes Augenmerk richten sie auf die Opfer, besonders auf Frauen und auf Minderheiten wie die indigene Bevölkerung sowie Afrokolumbianer. Des Weiteren gewährleisten sie die Bereitstellung der juristischen Wahrheit, wie Anklageschriften und Urteile, für die Aufarbeitung der Vergangenheit.
Vorgehensweise
Damit Kolumbien die geplanten Ziele erreichen kann, setzt die Beratung gleichzeitig auf mehreren Ebenen an.
Staatsanwälte, Ermittler, Richter und Beamte relevanter Institutionen werden sensibilisiert und praxisorientiert fortgebildet. Dabei geht es darum, den Rechtsweg zu optimieren und die Kriterien für die Anwendung des Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden zu vereinheitlichen.
Die Generalstaatsanwaltschaft dezentralisiert die Ermittlungsverfahren und tauscht sich mit nationalen und internationalen Partnern über die Erfahrungen aus. Dabei werden Strategien zur Anklageerhebung erarbeitet, die eine effizientere Bearbeitung des immensen Fallaufkommens ermöglichen.
Die Einbeziehung vulnerabler Bevölkerungsgruppen ist ein besonderer Schwerpunkt. Eine differenzierte Herangehensweise in allen Verfahrensphasen soll beispielhaft für die weitere Arbeit der Justiz sein. Sie soll dazu beitragen, das Schicksal dieser Opfergruppen umfassender darzustellen und ihren Zugang zur Justiz fördern. Für die Betroffenen hat die Teilnahme an den Verfahren große Bedeutung. Ihre Rolle im Prozess und bei der Wahrheitsfindung wird so gestärkt. Die Identifizierung und Übergabe sterblicher Überreste von Angehörigen trägt entscheidend zur Aufarbeitung der Vergangenheit bei.
Im Sinne einer nachhaltigen Konfliktbearbeitung und mit Blick auf die laufenden Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla sollen auch demobilisierte Rebellen stärker in die vom Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden angestoßene Wiedereingliederung einbezogen werden. Die Beratung des Vorhabens unterstützt eine verbesserte Aufarbeitung der Verbrechen der Guerilla wie Kriegsverbrechen und Sexualdelikte.
Um Ergebnisse und Erfahrungen nachhaltig für die Zukunft zu sichern, unterstützt die GIZ ihre Partner bei der Dokumentation und Archivierung des gesammelten Materials.
Um die praktische Umsetzung der genannten Aspekte zu fördern, begleiten Experten der GIZ zwei sogenannte priorisierte Fälle. Die Priorisierung ist die Strategie der Staatsanwaltschaft, um mit dem großen Fallaufkommen umzugehen. Im Gegensatz zur chronologischen und parallelen Bearbeitung, werden hier bestimmte Kriterien angelegt, die eine prioritäre Behandlung des Falls begründen, beispielsweise Anzahl der Opfer und Schwere der Verbrechen. Den Angeklagten, ehemalige paramilitärische Kommandanten, kommt eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit zu, da sie sinnbildlich für das Phänomen Paramilitarismus sind.
Wirkung – Was bisher erreicht wurde
Über 29.000 Opfer, die vor allem in entlegenen Regionen leben, wurden in die Ermittlungen zur Aufklärung der Verbrechen illegaler Gruppen einbezogen. Dabei kamen die mobilen Anhörungssäle zum Einsatz, die 2008 von Bundeskanzlerin Merkel an die Generalstaatsanwaltschaft übergeben wurden. In 75 mehrtägigen Übertragungen konnten die Opfer ihre Aussagen machen und an den Vernehmungen geständiger Paramilitärs teilnehmen.
Durch die Modernisierung der DNA-Labore war es möglich, die Leichen vieler Opfer zu identifizieren. Die Identifizierungsquote erhöhte sich von 13 Prozent (2008) auf 39 Prozent (2012). Die anschließende Übergabe ermöglicht den Angehörigen Trauer und Abschied.
Seit Beginn des Vorhabens hat sich die Quantität und schrittweise auch die Qualität der Anklagen signifikant verbessert, ein deutliches Ergebnis der zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen.
Der Praxisleitfaden „Gerechtigkeit und Frieden" sowie weitere Fach- und Handbücher – beispielsweise zu Verfahrensablauf, mittelbare Täterschaft, Opportunitätsprinzip – wurden unter Mitwirkung des Vorhabens erarbeitet und herausgegeben. Sie dienen den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen als Orientierung und führen zu einer einheitlicheren Auslegung des Gesetzes.
Die Staatsanwaltschaft verfolgte lange Zeit eine zu breit angelegte Ermittlungsstrategie und bis 2011 gab es nur eine zuständige Strafkammer in Bogotá. Das Vorhaben unterstützt die neu eingerichteten Strafkammern in Barranquilla und Medellín. Die GIZ-Experten beraten die Staatsanwaltschaft auch bei der Ausarbeitung einer Direktive zur Priorisierung von Verfahren bei besonders gravierenden Verbrechen und begleiten deren Umsetzung. Bislang wurden in 20 Gerichtsentscheidungen 49 ehemalige Paramilitärs verurteilt.
Sowohl die Beratung der Staatsanwaltschaft als auch die Mitarbeit am neuen Verfassungsartikel „Marco jurídico para la Paz", Grundlage für ein mögliches Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla, haben bewirkt, dass die Muster bei Verbrechen großen Ausmaßes, begangen durch dieselben kriminellen Organisationen, analysiert werden, um die betreffenden Fälle schneller ermitteln zu können. Möglichst viele Opfer sollen in einem angemessenen Zeitraum Recht erfahren. Tiefgreifende Umstrukturierungen bei der Staatsanwaltschaft wurden so angestoßen.