© GIZ / Vjosa Shaqiri

08.09.2022

Paprika gegen das Trauma

Fahrije Hoti verlor ihren Mann im Kosovo-Krieg und stand vor dem Nichts. Gemeinsam mit anderen Witwen gründete sie eine landwirtschaftliche Kooperative – mit großem Erfolg. Jetzt kommt ihre Geschichte mit dem Film „Hive“ ins Kino.

Wenn Fahrije Hoti heute ihr Schicksal auf der großen Leinwand sieht, kann sie es kaum glauben: „Uns geht es so viel besser als damals, dass es uns unwirklich vorkommt“, sagt die 52-jährige Kosovarin. Damals, das begann am 25. März 1999. Serbische Truppen überfielen das Dorf Krusha e Madhe/Velika Krusa und verübten ein Massaker an der männlichen Bevölkerung. 182 Männer wurden ermordet. Etliche, darunter Hotis Ehemann, sind bis heute vermisst.

Die Witwen entschieden sich zu bleiben und eigenhändig für das Überleben ihrer Familien zu sorgen. Gemüseanbau hinter dem Haus, ein paar Bienenstöcke, mehr hatten sie zunächst nicht. Der Anfang war hart, nicht nur wegen der traumatischen Erlebnisse: Die traditionellen Rollenbilder in Kosovo sahen keine öffentliche Arbeit für Frauen vor. „Den Männern auf den Märkten in der Gegend war es peinlich, wenn wir mit unseren Paprika vorgefahren sind“, erinnert sich Hoti. Selbst aus den eigenen Familien schlug den Witwen Ablehnung entgegen. Das Kollektiv blieb beharrlich – und fand Partner, die es unterstützten.

Zu den frühen Unterstützern der Frauen gehörte ein Landwirtschafts-Projekt des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ). Mustafe Kastrati, Berater der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, begleitete die Witwen seit 2007 im Auftrag des BMZ: „Das Projekt der Frauen hatte vor allem Potential, weil sie so einen starken Willen und Engagement gezeigt haben“, erinnert er sich. „Sie hätten es wahrscheinlich auch ohne uns geschafft, aber ich bin froh, dass wir ihnen den Rücken stärken konnten.“ Neben Schulungen zu effizienten Anbau- und Produktionsmethoden war vor allem die Beratung entscheidend, eine Kooperative zu gründen. Die Genossinnenschaft ist einzigartig in Kosovo, und das nicht nur, weil ausschließlich Frauen dabei sind: „Unsere gemeinsame Geschichte schafft eine ganz besondere Nähe und Gemeinschaft“, berichtet Hoti.

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1.250 Tonnen Paprika verarbeiteten die 75 Frauen der „Landwirtschaftlichen Genossenschaft Krusha“ im Jahr 2021. In diesem Jahr werden die Erträge noch höher sein. Längst ist die Kooperative zu einem wichtigen Arbeitgeber in der Region geworden: Etwa 300 Bauernhöfe liefern Paprika und anderes Gemüse an die Genossinnenschaft und ernähren damit ihre Familien. Ihre Ernte wird vor allem zu Ajvar, einem traditionellen Aufstrich, und Konserven verarbeitet. Nur rund 20 Prozent der Produkte wird in Kosovo selbst verkauft; der Rest wird an die Diaspora in Europa verschickt, unter anderem bis nach Schweden.

Die Imkerei haben die Frauen von Krusha mittlerweile aufgegeben. Der vielfach preisgekrönte Film „Hive“ (Bienenstock) spielt mit seinem Namen dennoch auf diese Anfänge an – aber auch auf das Gemeinschaftsgefühl, das die Frauen so stark gemacht hat. Die Regisseurin Blerta Basholli hat Fahrije Hoti und ihren Mitstreiterinnen damit ein Denkmal gesetzt. Den Film, der jetzt auch in Deutschland ins Kino kommt, hat Hoti schon fünf Mal gesehen. Immer wieder überkam sie eine Mischung aus Stolz auf das Erreichte und Trauer über das Erlebte. Der Wille und die Kraft, die schon das Projekt erfolgreich gemacht haben, lassen Hoti weiter träumen: „Wir wollen unser Modell in der Region etablieren und damit jungen Menschen eine Perspektive geben, hier zu bleiben!“

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