Ausgangssituation
In Bangladesch ist der Zugang zu Recht und Gesetz, vor allem für arme und benachteiligte Gruppen, noch immer eine große Herausforderung. Zwar propagiert die Regierung den „Zugang zum Recht für alle" – in der Realität jedoch hat ein Großteil der Bevölkerung nur begrenzten Zugang zu fairen Gerichtsverfahren. Die Gründe dafür sind vielfältig: Dem Justizsystem mit einer überholten kolonialen Gesetzgebung fehlen finanzielle Mittel und personelle Ressourcen. Die Korruption ist hoch, und Gerechtigkeit wird gemeinhin eher als Ware denn als Recht betrachtet. Weit verbreitete Schwierigkeiten wie die unzureichende Zusammenarbeit der Strafjustizorgane haben einen massiven Fallrückstau und stark überbelegte Haftanstalten zur Folge. Zahllose, meistens sehr arme Untersuchungsgefangene werden über lange Zeiträume festgehalten, während sie auf ihre Verhandlung warten. Solche langen Haftzeiten ohne Verurteilung oder faire Gerichtsverfahren stellen eine schwere Menschenrechtsverletzung dar. Die Überbelegung wird noch dadurch verstärkt, dass viele Fälle unnötigerweise im formalen Strafjustizsystem enden: Zu selten werden Alternativen zum formalen Strafverfahren wie Dorfgerichte oder Mediation in Anspruch genommen.
Ziel
Der Justizsektor wendet – auf der Grundlage guter Praxisbeispiele der institutionellen Zusammenarbeit in ausgewählten Pilotgebieten - neue Reformansätze an.
Vorgehensweise
Das Projekt besteht aus zwei Komponenten:
Reduzierung der tatsächlich vorhandenen Überbelegung in Haftanstalten
Um den Fallrückstau und die Überbelegung der Haftanstalten zu verringern, werden sogenannte Paralegals (Nichtjuristen) eingesetzt. Nach einer kurzen, intensiven Einarbeitung unterstützen sie Polizei, Gefängnispersonal, Anwälte und Gerichte und fördern deren Zusammenarbeit. Paralegals schließen die Lücke zwischen Justizsystem und Gefangenen und tragen so wesentlich zu Recht und Gerechtigkeit bei. Mithilfe von pädagogischem Theater und Gesang in „Paralegal Aid Clinics" klären sie Gefangene über ihre Rechte und den Ablauf von Gerichtsverfahren auf.
Auch an den Sitzungen von Fallkoordinierungskomitees nehmen Paralegals teil. Dort ermitteln die zuständigen Akteure aus Strafjustiz- und Rehabilitationswesen gemeinsam die Ursachen des Fallrückstaus und entwickeln Lösungsansätze. Die Arbeitsergebnisse werden an das Justizministerium, das Innenministerium und andere Institutionen weitergeleitet, um die notwendigen Reformen anzustoßen.
In Partnerschaft mit Gemeinschaften und den Organen des Strafjustizsystems (Polizei, Haftanstalten, Gerichte, soziale Einrichtungen) unterstützt das Vorhaben die Einführung von „Restorative Justice" als alternative Form der Streitbeilegung. Mithilfe dieser opferorientierten Justiz sollen Fälle aus dem formalen System herausgeleitet , sowie die Wiedereingliederung von Straftätern gefördert werden. Opferorientierte Justiz (Täter-Opfer-Ausgleich) fußt auf Mediation, die in Bangladesch eine lange Tradition hat. Maßnahmen zur Rehabilitation und Wiedereingliederung entlassener Strafgefangener wie Drogenentzug und Berufsausbildung werden durch den Aufbau von Partnerschaften zwischen Haftanstalten und bestimmten nichtstaatlichen Organisationen (NRO) und Privatunternehmen gefördert. Auch dadurch lässt sich die Zahl der rückfällig werdenden Täter reduzieren und damit die Überbelegung der Haftanstalten verringern.
Diese Komponente wurde zunächst in fünf Gefängnissen eingeführt; ihre allmähliche Ausweitung auf 40 der 64 Distrikte von Bangladesch soll bis 2018 erfolgen.
Justizreform und Korruptionsbekämpfung
Das Justizministerium wird bei der Überarbeitung veralteter Gesetze beraten. Dabei stehen Faktoren im Mittelpunkt, die Fortschritte behindern. In einem „Justice Audit" erhoben Fachkräfte Daten verschiedener relevanter Justiz- und Exekutivorgane, befragten Praktiker und führten eine repräsentative Haushaltsbefragung durch. Ihre Aufgabe war es, Querverbindungen und Interdependenzen aufzuspüren, um ein möglichst vollständiges Bild von Bangladeschs Strafjustizwesen zu erhalten. Das Audit dient politischen Entscheidungsträgern als Grundlage für qualifiziertere Entscheidungen über die Reform des Systems. Die erhobenen Daten werden auf der Website des Justice Audit bereitgestellt. Damit zählt Bangladesch zu den wenigen Ländern der Welt, die solche Informationen der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Auch die Antikorruptionskommission (ACC) wird durch das Vorhaben unterstützt. Es leistet strategische Kompetenzentwicklung (Capacity Development) und stärkt die Maßnahmen der Kommission gegen Korruption, indem es Partnerschaften zwischen der Zivilgesellschaft und staatlichen Akteuren auf Distriktebene fördert.
Wirkung – Was bisher erreicht wurde
Erstmals arbeiten alle Akteure des Strafjustizwesens zusammen. Sie tauschen Informationen aus und entscheiden gemeinsam über die Umsetzung von Maßnahmen. Der interinstitutionelle Informationsfluss in den Projektdistrikten hat sich erheblich verbessert.
Durch die Gefängnisreform hat die Arbeit der Paralegals und Fallkoordinierungskomitees zu einer früher nur schwer zu erreichenden zügigen Entlassung von mehr als 9.500 Häftlingen aus 20 Distriktgefängnissen geführt (Stand: Dezember 2015). Viele von ihnen können jetzt wieder arbeiten und ihre Familien versorgen. Die Abschaffung der Ingewahrsamnahme zur eigenen Sicherheit (safe custody) in drei Distrikten dient als Modell für die neu in das Programm aufzunehmenden Distrikte. Mehr als 2.600 Fälle wurden an Gerichten vorbeigeleitet, und in rund 5.300 Fällen wurden Restorative Justice Moderatoren und Mediatoren in einem Täter-Opfer-Ausgleich eingesetzt. Erste Partnerschaften mit Ausbildungs- und Therapieinstitutionen wurden geschlossen.
Durch die in der ACC getroffenen Maßnahmen konnte die Korruptionspräventionsarbeit spürbar intensiviert werden. In allen Pilotdistrikten ist ein Präventionsbeauftragter ernannt worden, der mit Mitteln der ACC finanziert wird – ein Beleg, dass die Kommission den Kampf gegen Korruption ernst nimmt. Im Rahmen von Partnerschaften mit Universitäten und privaten Medienunternehmen organisiert die ACC einen jährlichen Wettbewerb für Journalisten zum Thema „Best Practices der Korruptionsberichterstattung". Der strategische Planungsprozess der Kommission ist vorangeschritten. Erstmals hat sie zugesagt, Beispiele für Korruptionsbekämpfung zu dokumentieren und die Kompetenzen der einzelnen Dienststellen festzuschreiben. Mit Unterstützung der Komitees zur Korruptionsbekämpfung werden auf Distriktebene Schulen, zivilgesellschaftliche Akteure und staatliche Akteure wie die Polizei miteinander vernetzt.